Mental und physisch ausgebrannt, völlig perspektivlos kehrte die Künstlerin 1931 zu den Eltern nach Dresden zurück. In Hamburg hatte sie von 1925 bis 1931 ihre bedeutendste Schaffensphase, ja erste Ausstellungserfolge erlebt. Im Elternhaus flammten die früheren Streitigkeiten mit dem Vater rasch wieder auf. Er war es auch, der 1932 ihre Einweisung in die Landesheil- und Pflegeanstalt Arnsdorf bei Dresden einleitete, wo sie bis kurz vor ihrem gewaltsamen Ende aufgrund der T4-Euthanasie-Tötungsaktion 1940 verblieb.
Den Lebensnerv der Künstlerin traf das 1934 von den Nationalsozialisten verabschiedete Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Ihr Schicksalsjahr 1935 brachte Entmündigung, Unterstellung unter einen Vormund und die von Lohse betriebene Scheidung wegen "unheilbarer Geisteskrankheit". (Kurt Lohse) Der erbitterte Widerstand der Sechsunddreißigjährigen gegen die Zwangssterilisation hatte systematische Unterversorgung und Unterernährung zur Folge.
Wie bereits 1929 im Staatskrankenhaus Hamburg-Friedrichsberg begann Elfriede Lohse-Wächtler in Arnsdorf in kleinformatigen Bleistift- und Pastellkreide-Zeichnungen ihre unmittelbare Umgebung zu protokollieren. Von 1932 bis 1935 skizzierte sie in etwa 110 Arbeiten Mitpatienten, Genreszenen des Anstaltslebens, Innen- und Außenräume der Psychiatrie, z.B. Brustbild einer Frau mit Schalkragen (um 1933) und Fanny Frieda Riedel
(1933).
Diese Arnsdorfer Werkgruppe ist von kunsthistorischer Singularität, da offensichtlich kein weiterer Fall bekannt ist, in dem eine hospitalisierte Person ihr Lebensumfeld dokumentiert hat. Die zumeist in eindringlichem Dingrealismus fixierten Beobachtungen der Bewegungs- und Gebärdensprache psychisch Kranker stellen einen weiteren Höhepunkt künstlerischen Schaffens von Elfriede Lohse-Wächtler dar. Zeitgleich artikulierte sie ihre eigene Angst in mystischen, enigmatischen Zeichnungen, z.B. die Hilfesuchende Kniende weibliche Figur in Phantasiekostüm (1934).
Das Schicksalsjahr 1935 bewirkte einen unaufhaltsamen Verfall ihrer Kreativität. Ihre bildnerische Reaktion auf die Zwangssterilisation dürfte die verschollene symmetrisch-flächige Zeichnung
Leben
(1936) sein - eine auf den Kopf gestellte Gebärende, deren Leib ein Kind in triumphierendem Gestus entsteigt. Naiv dekorierte Exlibris und Glückwunschkarten belegen unübersehbar Schwäche und Unvermögen, so die letzte Karte
Blumenstück
(März 1940) an die Mutter mit dem Text: "Ängstige Dich nur nicht immer so sehr, es wird schon alles wieder gut werden ... ". Wie berechtigt die Befürchtungen der Mutter jedoch waren, beweist das nahe Ende: Von Arnsdorf wurde die Kranke in die Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein verbracht. Dort im Kellergeschoss wurde sie vergast und ihre Asche anschließend auf den Hängen der Elbe ausgestreut. Die auf den 12. August 1940 datierte Nachricht der Landes- und Pflegeanstalt Brandenburg/Havel, derzufolge Elfriede Lohse-Wächtler an „Lungenentzündung und Herzmuskelschwäche“ verstorben sei, sowie die offizielle Sterbeurkunde gingen den Eltern nach der Ermordung zu. Letztere verstarben 1947 in Dresden. Im Juni/Juli desselben Jahres fand im Schwurgericht Dresden der sogenannte Dresdner „Ärzteprozeß“ statt, in dem Hubert Wächtler als Zeuge auftrat. Die an den Euthanasie-Verbrechen beteiligten Ärzte Prof. Dr. Hermann Paul Nitsche und Dr. Ernst Leonhardt wurden darin zum Tode verurteilt.
Die künstlerischen Verfemungen infolge der Münchener Ausstellung "Entartete Kunst" 1937 hatten die Entfernung von insgesamt acht Arbeiten aus dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe sowie dem Altonaer Museum zur Folge. Einzig der Umsicht des Bruders Hubert ist es zu verdanken, dass das Œuvre trotz aller Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs und der Vernichtung Dresdens im Februar 1945 nahezu unversehrt nach Hamburg transferiert werden konnte, wo Hubert Wächtler mit ersten Galerie-Ausstellungen in Hamburg und Oldenburg die Wiederentdeckung von Werk und Biographie der Schwester einleitete. Portrait Hubert Wächtler (1935)
1994 konstituierte sich der Förderkreis Elfriede Lohse-Wächtler e.V., Hamburg. 1996 erschien die erste grundlegende Werkbiographie
Im Malstrom des Lebens versunken...
Elfriede Lohse-Wächtler 1899-1940 - Leben und Werk, die in den nachfolgenden Jahrzehnten einen Boom von Publikationen und Ausstellungen im In- und Ausland auslöste und Werk und Biographie einer Künstlerin der Vergessenheit entriss, deren Leben und Kreativität in bis dato unbekannter Brutalität und Endgültigkeit von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurde.