Frühwerk

FRÜHWERK IN DRESDEN (1915 – 1925)

Schicksal und Werk Elfriede Lohse-Wächtlers erfuhren in den vergangenen drei Jahrzehnten zunehmend Aufmerksamkeit und Anerkennung. Viele Aspekte ihres Lebens und künstlerischen Schaffens liegen aber dennoch weiterhin im Dunkel. So lassen sich auch ihre Dresdner Jahre vom Eintritt in die Kunstgewerbeschule 1915 bis zu ihrem Wegzug nach Hamburg 1925 nur bruchstückhaft rekonstruieren, zumal sich aus dieser Zeit nur sehr wenige Werke erhalten haben.

 

„Die Akademie ist meine Hoffnung (…) um mich im Zeichnen, Dekorieren und Entwerfen sowie im Studieren von Trachten auszubilden“, schrieb die erst 14-jährige Anna Frieda (Elfriede) Wächtler 1913 in einem Schulaufsatz. (Boris Böhm) Bereits zwei Jahre später, mitten im Krieg, ist sie an der Kunstgewerbeschule in Dresden in der Fachklasse für Mode und Weibliche Handarbeiten eingeschrieben. In ihrer Fachklassenleiterin Margarethe Junge (1874-1966) traf sie auf eine umtriebige und durchsetzungsstarke Frau, die als erfolgreiche und vielseitig begabte Entwerferin für die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst als erste weibliche Lehrkraft 1907 an die KGS berufen worden war. Margarethe Junge war eine Ausbilderin mit hohem Anspruch, die ihre Studentinnen ebenso forderte wie freundschaftlich förderte, sich für die Gleichbehandlung von Frauen und Männern einsetzte und nicht zuletzt die gesamte Bandbreite des Designs praxisnah vermitteln konnte. 



Nur vereinzelte Studienarbeiten wie etwa Prinzessin mit Hofdame haben sich aus dem Fach Kostümkunde erhalten. Neben den traditionellen Textiltechniken gehörte auch die damals zunehmend in Mode kommende Batik-Kunst zum Unterrichtsprogramm. Zahlreiche Fotografien geben darüber Aufschluss, in welcher Vielfalt Elfriede Lohse-Wächtler diese damals neuartige altjavanische Textiltechnik beherrschte und auch in den darauffolgenden Jahren in phantasiereich gestalteten Entwürfen umzusetzen wusste. Stilistisch und motivisch schöpfen diese flächen- und ornamentbetonten Textilwerke aus dem Jugendstil und paraphrasieren vielstimmig die im Trend der Zeit liegenden Bildsprachen außereuropäischer Kulturen.

Zum Wintersemester 1916/17 wechselte Elfriede Lohse-Wächtler allerdings gegen den Willen des Vaters bereits in die Grafikklasse Oskar Georg Erlers, in der nun das figürliche Zeichnen, Illustration, Schriftentwurf und druckgrafische Techniken ins Zentrum rückten. Damit erfolgte auch ihr Auszug aus der elterlichen Wohnung. Ein radikaler Schritt, der besonderen Mut erforderte und auch ein Umfeld, das sie darin bestärkte, war sie doch von da ab gezwungen, für ihren Lebensunterhalt selbst Sorge zu tragen.


Gemeinsam mit Londa von Berg, der späteren Ehefrau Conrad Felixmüllers, teilte sie sich ab Herbst 1916 ein Zimmer unweit der Kunstgewerbeschule und der Akademie. Voller Tatendrang stürzte sie sich nun in ihr neues selbständiges Leben, legte sich ein männliches Pseudonym zu und signierte ihr Werke fortan mit Nikolaus Wächtler. Und sie tanzte. In ihrer Begeisterung für den modernen Ausdruckstanz gehört sie einer ganzen Generation von jungen Frauen an, die über ihren Körper ein völlig neues künstlerisches Ausdrucksfeld für sich entdeckte, das nicht von Männern besetzt war. Als die damals erfolgreiche Solotänzerin Gertrud Leistikow (1885-1948) die Räume der Kunstgewerbeschule für ihre Tanzschule nutzte, gehörte Elfriede Lohse-Wächtler zu ihren ersten Schülerinnen und nahm an Tanzaufführungen teil. (Jacobien de Boer) 1917 erstellte sie gar eine druckgrafische Mappe mit Tanzstudien, die Leistikow einem bedeutenden Tanzkunstexperten der Zeit zum Abdruck anbot. Das offen „Exotistische“, das den modernen Tanz in dieser Zeit in Themenwahl und modischer Inszenierung prägte, fand in ihren Batikarbeiten ebenso sein Echo wie in der in kleinteilige Flächenornamente gebetteten Motivwelt ihrer handkolorierten Federlithografien, wie Tod und Sünderin (1918) und Salome (1918). Diese entstanden nun vermehrt auch im Auftrag und bildeten neben den Batiken eine weitere Einnahmequelle.



Überdies gehörte sie einer äußerst lebendigen und aktiven Kunstszene um den umtriebigen, bereits erfolgreichen und nur wenig älteren Conrad Felixmüller an. In seinem Atelier, fußläufig bei ihr um die Ecke gelegen, veranstaltete er seit Herbst 1917 gemeinsam mit den Literaten Felix Stiemer und Walter Rheiner sogenannte „expressionistische Abende“. Hier wurde emphatisch Protest „gemalt, gemeißelt, geschrieben, geschrien“. (Heinar Schilling) In diesem Kreis fand Elfriede Lohse-Wächtler Freunde, sehnte wie diese das Ende des Krieges herbei, malte und zeichnete unermüdlich, dichtete und saß auch mal Modell wie ihr Bruder Hubert Wächtler erinnert.

Auch als sie 1918 das Atelier Felixmüllers übernahm, blieb es weiterhin als vielfrequentierter Künstler-Treffpunkt beliebt. „Man kam gerne auf ihre Bude“, so der Dichterfreund Rudolf Adrian Dietrich, „die Wände hingen voller Zeichnungen und Holzschnitte von Dix, Felixmüller, Kokoschka und auch eigenen Arbeiten, die wieder etwas ganz anderes waren.“ (Rudolf A. Dietrich) Die wenigen freien künstlerischen Arbeiten wie etwa Maria mit Kind (1916), die Zeichnungen Die Mutter (1918) oder auch das heute verschollene Portrait F. zeigen ihre Auseinandersetzung mit der kubisch-expressionistischen Arbeitsweise ihres Umfeldes. Holzschnitte wie Die Nachtwandlerin (1919) thematisieren die kosmisch-expressive „O-Mensch-Gebärde“ des Kreises.


1919 gesellten sich Kriegsheimkehrer wie Otto Griebel, Otto Dix und auch Kurt Lohse, ihr späterer Ehemann, zum politisierten Dresdner Expressionistenkreis. Im Zuge der revolutionären Ereignisse und zunächst unter Führung von Conrad Felixmüller ging daraus die Gruppe der Dresdner Sezession 1919 hervor. Mit allen Mitgliedern der Gruppe wohl gut bekannt oder wie mit Otto Griebel enger befreundet, war sie jedoch kein offizielles Mitglied der Gruppe und stellte auch nicht gemeinsam mit ihnen aus. Überhaupt ist ihre Teilnahme an Dresdner Ausstellungen wie es Griebel erinnert bislang nicht nachweisbar.

1919 gesellten sich Kriegsheimkehrer wie Otto Griebel, Otto Dix und auch Kurt Lohse, ihr späterer Ehemann, zum politisierten Dresdner Expressionistenkreis. Im Zuge der revolutionären Ereignisse und zunächst unter Führung von Conrad Felixmüller ging daraus die Gruppe der Dresdner Sezession 1919 hervor. Mit allen Mitgliedern der Gruppe wohl gut bekannt oder wie mit Otto Griebel enger befreundet, war sie jedoch kein offizielles Mitglied der Gruppe und stellte auch nicht gemeinsam mit ihnen aus. Überhaupt ist ihre Teilnahme an Dresdner Ausstellungen wie es Griebel erinnert bislang nicht nachweisbar. 

Mit Dada war auch der Dresdner Spätexpressionismus an sein Ende gekommen und wurde von der „rücksichtslose[n] Wahrheit der Darstellungsmittel“ (Paul F. Schmidt) abgelöst, wie sie zunächst vor allem Otto Dix in einem übersteigerten Realismus dem Publikum anbot. Auch in den Arbeiten Elfriede Lohse-Wächtlers verlor sich das expressionistische Stakkato, wie dies im fließenden Linienduktus des Aquarells der Drei Akte (1920) bereits deutlich wird. Einer „realistischen“ Auffassung folgt auch ihr erstes bekanntes Selbstporträt (1921). Inzwischen war sie mit Kurt Lohse verheiratet und lebte in einem Werkleiterhaus eines Steinbruchs nahe Dresden.


Otto Dix und Otto Griebel waren nun Akademiestudenten bei Otto Gussmann und Robert Sterl. Der Name Elfriede Lohse-Wächtler findet sich in den Semesterlisten allerdings nicht. Jedoch arbeitete sie, so erinnert sich der Bruder, um 1923 in einem „Atelier in der Kunstakademie an der Brühlschen Terrasse“. Zuvor hatte sie sich in Görlitz aufgehalten. Ihr Mann war als Sänger am Stadttheater engagiert. Ob sie dort Teil einer Tanzkompanie war oder gar Solotänzerin, wie ihr Bruder mutmaßt und eine erhaltene Fotografie suggerieren könnte, lässt sich bislang nicht belegen.



In ihrer Ehe kriselte es und hatte 1923 zu einer ersten Trennung geführt. Die aquarellierte, stilistisch und kompositorisch fast naiv aufgefasste Interieurszene Liebespaar (1922/23) ist womöglich eine Reaktion darauf. 1925 ging sie nach Hamburg, folgte Kurt Lohse nach und wagte einen Neuanfang. Im Selbstporträt mit blauem Kragen (1925) zeigt sie sich als selbstbewusste junge Frau. Im so sicheren dynamischen Setzen der Bildmittel erscheint hier bereits alles präsent, was ihre Arbeitsweise zukünftig auszeichnen wird. Elfriede Lohse-Wächtler blickte optimistisch in die Zukunft.

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